Eine neue Studie hat zahlreiche Missbrauchsfälle in der katholischen Kirche in Deutschland aufgedeckt. Zwischen 1946 und 2014 gibt es Aufzeichnungen über 3677 sexuelle Vergehen, begangen von 1670 Klerikern. Mehr als die Hälfte der Opfer war höchstens 13 Jahre alt, der Großteil von ihnen männlich.
Der Spiegel hat nun eine Zusammenfassung der streng vertraulichen Studie veröffentlicht.
In der Studie wurden mehr als 38.000 Personal- und Handakten aus 27 deutschen Diözesen untersucht und ausgewertet. In jedem sechsten der 3677 sexuellen Vergehen kam es zu unterschiedlichen Formen der Vergewaltigung. Drei Viertel der Betroffenen standen mit den Beschuldigten in einer seelsorgerischen oder kirchlichen Beziehung.
Bei den veröffentlichten Zahlen handelt es sich nur um eine konservative Annahme; die tatsächliche Anzahl der Missbrauchsfälle könnte noch viel höher sein: „Erkenntnisse über das Dunkelfeld wurden nicht erlangt“, so die Autoren der Studie. „Damit unterschätzen alle Häufigkeitsangaben die tatsächlichen Verhältnisse“.
Beweise vernichtet
Ohne die Anträge auf Entschädigung durch die Betroffenen hätte man die Hälfte der Fälle nicht einmal entdeckt. Denn in den Personalakten der beschuldigten Kleriker fehlte nämlich jeglicher Verweis. Oft habe man diese Hinweise „vernichtet oder manipuliert“.
Das offenbart nicht nur den bewussten Versuch, das Ausmaß des Problems vor der Öffentlichkeit zu verbergen und die Täter zu schützen. Es deutet auch auf eine Dunkelziffer hin, die die offiziellen Zahlen noch weit übersteigen könnte.
Zudem gebe es laut Autoren der Studie keinen Grund zur Annahme, dass man das Problem mittlerweile in den Griff bekommen habe. Die Missbrauchs-Serie dauerte bis zum Ende der Studie an.
Neuanfang für die Beschuldigten
Auffällig sei gewesen, dass beschuldigte Kleriker von höherer Stelle an einen anderen Ort versetzt wurden, ohne dass man die aufnehmende Gemeinde über den Grund für die Versetzung aufklärte.
Gerade einmal ein Drittel der Täter musste sich einem kirchenrechtlichen Verfahren stellen. Allerdings waren die letztlichen Sanktionen selbst in diesem Fall minimal, falls es überhaupt welche gab.
Die Autoren der Studie halten sich in Bezug auf mögliche Gründe für den Missbrauch zurück. Ganz unadressiert lassen sie die Frage allerdings nicht: „Die grundsätzliche Ablehnung der katholischen Kirche zur Weihung homosexueller Männer ist dringend zu überdenken“, so der Report. Außerdem müsse die Frage erlaubt sein, ob die Verpflichtung zum Zölibat „ein möglicher Risikofaktor“ sei.
Weltweites Problem
Auch in den USA treiben Schlagzeilen über sexuelle Übergriffe den Diskurs über die katholische Kirche an. Im August hatten Ermittler im US-Bundesstaat Pennsylvania Details über das Ausmaß sexuellen Missbrauchs der katholischen Kirche aufgedeckt. Auch dort habe man das Problem viele Jahre lang vertuscht.
Von 300 Priestern ist Report der Generalstaatsanwaltschaft die Rede, deren Missbrauch sich über Jahrzehnte erstreckt haben soll. Mehr als 1000 Jugendliche waren von ihren Taten betroffen.