Jaroslawl ist eine der ältesten Städte Zentralrusslands und kann auf eine stolze Geschichte zurückblicken. Leider erlangte die Stadt durch ein sehr tragisches Ereignis internationale Bekanntheit: Bei einem Flugzeugabsturz im September 2011 kam nahezu die gesamte Mannschaft des Eishockeyclubs Lokomotive Jaroslawl ums Leben.
Auch diese Geschichte handelt von einem unglaublichen Zufall, an den sich die Bewohner von Jaroslawl noch lange erinnern werden.
Vor etwas mehr als 10 Jahren hörten Nachbarn in einem Haus in der Region Jaroslawl, etwas außerhalb von Moskau, jemanden schreien. Sie ignorierten den Lärm zunächst, doch nach einer Woche beschlossen sie, die Geräusche aus dem verfallenen Haus zu untersuchen.
Dort machten sie im Zimmer, aus dem die Schreie kamen, eine entsetzliche Entdeckung: In einer Ecke kauerte ein einjähriges Baby, verängstigt und allein. Die Mutter hatte das Kind vor einer Woche ohne jede Verpflegung ausgesetzt, und wenn die Nachbarn nicht neugierig geworden wären, wäre das Mädchen mit Sicherheit gestorben.
Sie brachten das kleine Mädchen, Liza Verbitskaya, sofort ins Krankenhaus, wo Ärzte entdeckten, dass sie eine gebrochene Hüfte hatte und unterernährt und dehydriert war.
Liza hatte Entwicklungsprobleme, die auf ihr frühes Trauma während ihrer Kindheit zurückzuführen waren. Sie konnte kein Essen kauen, hatte extreme Angst vor lauten Geräuschen und lernte das Laufen nur langsam.
Ersatz-Mama
Nach ihrem Krankenhausaufenthalt sollte Liza in ein Waisenhaus gebracht und zur Adoption freigegeben werden, doch dann kam alles ganz anders. Während sie noch im Krankenhaus war, machte sie die Bekanntschaft einer Frau namens Inna Nika, die eine innige Verbindung zu ihr knüpfte.
Inna war Tag und Nach im Krankenhaus, um über ihren kranken Sohn zu wachen. Eines Tages hörte sie einen Schrei aus dem Krankenzimmer nebenan und schaute nach Liza. Von diesem Tag an begann Inna, Liza jeden Tag zu besuchen. Die Mutter brachte ihr regelmäßig neue Kleidung, Essen und Spielzeug.
Eines Tages schließlich, als Inna Liza besuchen wollte, war das kleine Mädchen verschwunden. Inna fand bald heraus, dass das kleine Mädchen stark genug geworden war, um das Krankenhaus zu verlassen. Man hatte sie in ein nahe gelegenes Waisenhaus gebracht. Inna hatte schon zwei Söhne und noch nie über eine Adoption nachgedacht. Doch an diesem Tag, als Liza ihr Leben zu verlassen drohte, wurde Inna klar, dass das Mädchen zu ihrer Familie gehörte.
„Ich erkundigte mich nach der Adresse des Ortes, wo sie sie hingebracht hatten, und ging dorthin, sobald ich konnte. Ich kann mich nicht erinnern, wie ich dorthin gekommen bin,“ sagt Inna.
Die Mutter leitete die Adoption ein und nach zahlreichen Formalitäten durfte Liza bei Inna und ihrer Familie leben, wo sie von Liebe und Glück umgeben war.
Über jedes Hindernis
Liza entwickelte sich nicht so schnell wie andere Kinder und das Trauma ihrer Kindheit verfolgte sie. Inna jedoch war entschlossener als je zuvor und schenkte ihrem kleinen Mädchen all die Liebe und Unterstützung, die es benötigte.
Sie besuchte Tanzkurse mit Liza, in der Hoffnung, dass die Musik ihr dabei helfen könnte, sich körperlich und geistig zu entwickeln. Und es hat funktioniert: Im Tanz fand Liza Kraft, und verbunden mit der Liebe und Fürsorge ihrer Adoptivmama blühte sie zu einem gesunden, glücklichen Kind auf.
Als sie zur Schule kam, konnte niemand glauben, dass sie das Kind war, das einst von ihren Eltern in einem heruntergekommenen Haus zum Sterben zurückgelassen worden war.
Doch sie hatte weiterhin mit Hindernissen zu kämpfen. Sie zählt zur ethnischen Minderheit der Roma-Bevölkerung und hebt sich mit ihrer dunklen Haut vor der eher homogenen Mehrheit der Jaroslawl-Region ab. Wegen ihres Aussehens ist sie daher schweren Vorurteilen ausgesetzt: Kinder hänselten sie in der Schule und sie erregte Aufmerksamkeit, wo auch immer sie war.
Sie fühlt sich wohl in ihrer Haut
Doch Liza sind die Blicke und Kommentare egal: „Sie schämt sich nicht dafür, wer sie ist. Als sie klein war, sagte ich ihr: ‚Die Leute werden dich immer anstarren – sei darauf vorbereitet,'“ meint Inna.
Die Welt hat allen Grund, sich Liza genau anzusehen. Heute ist sie ein erfolgreiches Nachwuchstalent, nimmt an Schönheitswettbewerben teil und arbeitet sogar als Model.
Lange vergessen ist die Zeit, als niemand das Mädchen wollte.
Weil ihre unglaubliche Geschichte und die erfolgreiche Modelkarriere sie in Russland berühmt machten, erfuhr eines Tages auch ihre leibliche Mutter von Lizas neuem Leben. Sie wollte sie wiedersehen, doch die Familie lehnte alle Anfragen ab.
Ihr Leben begann mit Zurückweisung. Doch sie erhielt eine neue Chance – und das nur dank der Liebe und Fürsorge einer Fremden. Wir wünschen Liza weiterhin nur das Beste und hoffen, dass sie alle ihre Träume verwirklichen können wird.
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