Wer kleinen Kindern etwas zuleide tut, hat in den Augen vieler seine Menschlichkeit verwirkt. Die Rede ist nicht länger von einem Menschen, sondern von einem Monster.
In Chile hat dieses Monster derzeit ein Gesicht: Ein 30-Jähriger hat dort ein Mädchen vergewaltigt und letztlich getötet, und mit dieser grausamen Tat das Land in seinen Grundfesten erschüttert. Ambar Lazcano war ein Jahr und sieben Monate alt.
Nun fordern viele Menschen nach der Todesstrafe für den Täter. Noch wurde er nicht verurteilt.
Mittlerweile hat sich der Arzt zu Wort gemeldet, der das Mädchen vor ihrem Tod im Krankenhaus behandelte. Auf Facebook erklärt er, warum er gegen die Todesstrafe für den Mann, der dem Kind das Leben genommen hat, ist.
Der Kinderarzt Alvaro Retamal arbeitet im San Camilo Krankenhaus, 78 Kilometer nördlich von Chiles Hauptstadt Santiago. Er behandelte die einjährige Ambar Lazcano, als sie mit schweren Verletzungen das Krankenhaus erreichte. Die Tante des Mädchens und ihr Partner behaupteten, das Mädchen wäre aus dem Bett gestürzt, doch ihre Verletzungen erzählten eine andere Geschichte.
Die Ärzte fanden heraus, dass man das Mädchen sexuell missbraucht hatte. Ein unvorstellbares Verbrechen, das Ambar letztlich das Leben kostete. Der Partner der Tante wurde von der chilenischen Polizei als Tatverdächtiger verhaftet.
In die Obhut der Falschen
Als ihre Mutter aufgrund von Drogenproblemen nicht länger auf sie aufpassen konnte, kam Ambar in die Obhut ihrer Tante.
Laut El Comercio hatte ein anderer Onkel seine Hilfe angeboten, war von den Behörden aber aufgrund seiner Homosexualität abgelehnt worden. Deshalb landete Ambar in dem Zuhause, wo sie ihren Tod finden würde.
Dr. Retamal hat nun auf Facebook darüber geschrieben, wie sehr der Überlebenskampf des Mädchens ihn und andere Mitarbeiter des Krankenhauses berührt hat. Trotz allem glaubt er nicht daran, dass die Todesstrafe für Gerechtigkeit sorgen wird. Sein Beitrag, dessen Übersetzung Sie unten lesen können, wurde seither von Tausenden geteilt.
https://www.facebook.com/photo.php?fbid=10215003559428156&set=a.1595490132876.82313.1404636669&type=3&theater
Die Botschaft von Dr. Retamal
„Es ist so einfach, wütend zu werden und die Todesstrafe für ein Monster wie dieses zu verlangen.
Ein Krimineller, der zweifellos die Todesstrafe für diese Verbrechen verdient… und es ist einfach, diese Idee beizubehalten. Als ich Ambar Lazcano im Krankenhaus hatte und wir versuchten, ihr Leben zu retten, als wir ihren zerbrechlichen Körper sahen, ihre kleinen Hände, als ich während alldem ihre Stirn streichelte und ihr sagte, dass sie überleben solle weil die Welt nicht zulassen würde, dass sie jemand verletzt…
Wenn man die Gelegenheit hat, ihr mit sanfter Stimme zu sagen: Bitte hör mir zu: Lebe! Es gibt nichts, vor dem du Angst haben musst, die Welt ist voller Menschen, die sie lieben möchten… Wie die Tanten und Onkel, die sie im Krankenhaus aufnahmen, die mit ihr im Krankenwagen fuhren, die sich in der Notaufnahme in Pabellón um sie kümmerten, während sie sie operierten, und alle von uns hier im Krankenhaus… Vom Betreuer bis zu den Ärzten, die manchmal versuchen, emotionale Distanz zu halten, damit wir nicht so viel Schmerz aufnehmen müssen.
Wir alle weinten für diesen wunderschönen kleinen Engel.
Und wir wünschen uns sicherlich, dass die Person, die das angestellt hat, undenkbare Strafen erleiden wird.
Ambar kann endlich ruhen, nach einem Leben, das ansonsten voll des Schmerzes war. Ich hielt ihre Hände, während sie uns verließ, und obwohl ich dessen nicht würdig bin, segnete ich sie, einfach nur weil ich derjenige war, der anwesend war; ich bin kein Pfarrer oder ihr Vater.
Was ich heute fühle, ist kein Verlangen, jemanden zu töten, weil das ein Akt ist, der nichts berichtigt. Heute habe ich das Gefühl, dass wir da sein sollten, um für ein Ende dessen zu sorgen, was Amber und so vielen anderen passiert ist.
Es ist einfach, nach der Todesstrafe zu verlangen. Doch warum nehmen wir nicht den ganzen Hass, den wir jetzt fühlen, und verwandeln ihn in Liebe und Schutz für all unsere Kinder? Für diejenigen, die keine Eltern haben, aber auch für diejenigen, die stumm bleiben; diejenigen, von denen wir nicht wissen oder nicht wissen wollen, dass sie in aller Stille leiden.
Unsere Berufung muss stattdessen sein, die Kinder von all dem Bösen zu beschützen, das uns in der Welt umgibt, zwischen allen Hügeln und Bergen. Das wird zu etwas führen, das anderen vielleicht helfen können wird. Nach dem Tod eines Monsters zu verlangen, führt nur zur Erleichterung.“
https://www.facebook.com/algorema/posts/10216335710011088
Als Gesellschaft müssen wir nach einer Zukunft streben, in der es keinen Kindern so ergeht wie der kleinen Ambar. Mit der Todesstrafe stellen wir weder Gerechtigkeit her, noch beugen wir weiterem Leid vor. Wir entmenschlichen unsere Gesellschaft nur weiter durch das Ausleben egoistischer Rachefantasien.
Stimmen Sie diesem Arzt zu? Teilen Sie uns Ihre Gedanken in den Kommentaren mit!
Titelbild: Shutterstock (Es handelt sich nicht um das Mädchen aus der Geschichte).